1940 - Januar: dem Ende sehr nahe – Haus Marienthal gGmbH, Evangelische Kinder- Jugend- und Familienhilfe Schweinfurt

Haus Marienthal

Januar 1940 - Daten zur Schließung der Einrichtung

1940 Akten der Gestapo

Zu keinem anderen Zeitpunkt in seiner langjährigen Geschichte sind Existenz, Ruf und Zukunft des Hauses vergleichbar massiv in Frage gestellt, wie am Donnerstag, dem 25. Januar 1940.

Am Abend jenes Tages hat der Vorsitzende des Verwaltungsrates, Pfarrer Adam Beyhl, am Ende der dritten Verwaltungsratssitzung innerhalb von zwei Tagen nach einstimmigem Votum des Gremiums
zu erklären:
„Mit Rücksicht auf die in der heutigen Sitzung im Rathaus von dem Vertreter der Geheimen Staatspolizei abgegebenen Erklärung hat der Verwaltungsrat d. Evangelischen Erziehungsheimes in SW e.V., der zur gleichen Zeit die Generalversammlung verkörpert, die freiwillige Auflösung des Vereins beschlossen. Es hat nunmehr §9 der Satzung vom 30.08.1901 in Kraft zu treten.“

Beschlossen sind damit die Schließung des Heimes, die Liquidation des Vereins und der entschädigungslose Übergang des kompletten Vereinsvermögens (Haus, Grundstücke, Wertpapiere) an die Stadt Schweinfurt – aus damaliger Sicht endgültig.

Nicht lange zuvor waren staatliche Stellen noch zu einer Einschätzung gekommen, die eine andere Entwicklung wahrscheinlicher erschienen ließ. Sicher ohne dass dies im Haus bekannt wurde, hatte die NSDAP-Kreisleitung Würzburg am 19. 11. 1938 dem Finanzamt Bad Neustadt/Saale auf eine entsprechende Anfrage in einer „Auskunft über Johanneum Schweinfurt“ mitgeteilt:

„..., dass es sich bei dem bezeichneten Johanneum um eine Stiftung handelt, welche dem ev. Pfarrer Beyl, dahier untersteht. Beanstandungen brauchten bisher in diesem Institut nicht zu erfolgen. Pfarrer Beyl gehört zwar der ev. Bekenntnisfront an, ist aber nicht als Fanatiker in dieser Hinsicht zu bezeichnen.
Das Johanneum ist zur Unterbringung von Schülern geeignet; die Erziehung dort erscheint im allgemeinen einwandfrei, steht jedoch etwas unter einem gewissen religiösen Einfluss.“
(Pfarrer Beyhl war Vorstand sowohl des „Evangelischen Schülerheims Johanneum“ - Oberer Marienbach 6 - wie des „Erziehungsheims Marienthal“ - Oberer Marienbach 7)
Dass eine derartige „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ keine Selbstverständlichkeit war, zeigt eine am gleichen Tage vom gleichen Absender - diesmal an das Finanzamt Schweinfurt - gegebene Einschätzung einer anderen Schweinfurter Einrichtung:

„Auskunft über Verein Kolpinghaus Schweinfurt
Die Gaststätte „Kolpinghaus“ ist Eigentum des kath. Verein Kolpinghaus und eignet sich nicht zur Unterbringung von Schülern. Die Betreuung wird dort von kath. Geistlichen und Klosterschwestern (in geistiger Hinsicht) vorgenommen. Da dabei das natsozu. Gedankengut völlig ausseracht gelassen wird, ist selbstverständlich. Im übrigen Verkehr in der Gaststätte selbst, sind die untergebrachten Schüler manchen Einflüssen von seiten kath. Vereine u.dgl. ausgesetzt. Zu bemerken ist dabei, dass im Herbst 1937 in der genannten Gaststätte von einem kath. Geistlichen Hetzbriefe gegen den Reichsminister Dr. Goebbels verteilt wurde.
Heil Hitler
Kreisleiter“
[Originaltext]

In Bezug auf die Geschichte des Marienthals ist festzustellen:

Auf wichtige Dokumente – etwa den von der Gestapo eingezogenen Aktenbestand des Hauses oder bestimmte Gestapo-Unterlagen - besteht nach wie vor kein Zugriff. Dennoch erlauben vor allem die erhaltenen Protokolle der entsprechenden Verwaltungsratssitzungen des Vereins, Aufzeichnungen von Pfarrer Beyhl, der Einblick in die Gestapoakten über die Verhöre von Kindern und Jugendlichen aus dem Haus sowie einem Mitarbeiter, dem Diakon W., sowie der Schriftverkehr im Zuge des Entschädigungsverfahrens nach dem Krieg die Rekonstruktion der Ereignisse. Zugespitzt hatte sich die kritische Entwicklung zu Beginn der Woche, in der die als „freiwillige Selbstauflösung“ deklarierte, faktisch aber von der Gestapo erpresste Vereinsauflösung besiegelt wird.

Entscheidend waren vier Tage im Januar 1940.

Pfarrer Beyhl, 1940

Adam Beyhl, Pfarrer in Schweinfurt 1922-1953
Langjähriger Vorsitzender des Verwaltungsrates

Montag, 22. Januar 1940

In seinem am 27.1.1940 verfassten Bericht hält Pfarrer Beyhl fest:
„Am Montag, den 22.1.40 wurde ich nach Rückkehr vom Schulunterricht [Pfarrer Beyhl erteilte auch Religionsunterricht am Städt. Gymnasium, d. Verf.] in die Anstalt Marienthal gerufen. Dort trat mir ein Herr der Gestapo Würzburg gegenüber und erklärte, sie seien beauftragt auf Grund verschiedener Angaben und Beschwerden den gesamten Anstaltsbetrieb zu überprüfen und forderten von mir, dass ich die Anstalt nicht eher wieder betreten möchte, bis sie mich rufen würden, was zwei bis drei Tage dauern könnte. Es sei das nötig, um den Verlauf der Untersuchung nicht zu beeinträchtigen. Fragen meinerseits, nach welcher Seite hin und durch wen Angaben und Beschwerden eingelaufen seien, fanden die Antwort, dass darüber kein Aufschluss gegeben werden dürfte. Ich sah und erfuhr nur noch, dass in mehreren Zimmern Untersuchungsräume eingerichtet und mit Herren der Gestapo besetzt worden waren. Der Hausvater, Verwalter Habdank, war am Morgen beim Eintreffen der Gestapo sofort in Schutzhaft genommen und weggeführt worden, der Hausmutter und den Angestellten war gesagt, dass sie jegliche Besprechungen mit den Kindern zu unterlassen hätten, weil sonst ähnlich mit ihnen “verfahren werden müsste, wie mit dem Hausvater".

Montag, 22. Januar 1940, und Dienstag, 23. Januar 1940

An den beiden ersten Tagen der Woche werden der Hausvater, Hans Habdank, Kinder und Jugendliche „Heimzöglinge“ sowie der Erziehungsgehilfe W., der dem Hausvater unterstellt und für die Erziehung der männlichen Heimbewohner zuständig war, von der Gestapo verhört.

Im Staatsarchiv Würzburg sind die Gestapoakten über die Verhöre von W. und zwölf - ausnahmslos männlichen Heimbewohnern im Alter von 8 bis 19 Jahren erhalten. Ebenfalls im Haus lebende Mädchen werden nicht erfasst. Der Akt des Hausvaters Habdank ist – wie die Akten von Personen, deren Nachnamen mit den Buchstaben A-J beginnt - verschollen.

Akten der Gestapo Würzburg

Auch wenn sich über die Art und Weise der Fragestellungen und der Verhörpraxis nur Vermutungen anstellen lassen, ist davon auszugehen, dass die Vernehmungen für die Kinder und Jugendlichen aus dem Haus, die teils noch im Grundschulalter sind, in einer besonderen angespannten Atmosphäre stattfinden. Gefordert wird in jedem Fall eine Schweigeerklärung, alle Befragten haben zu unterschreiben:

„Ich nehme zur Kenntnis, dass ich über den Grund meiner jetzigen Vernehmung im Heim mit niemand sprechen darf und bei Zuwiderhandlung gegen diese Auflage polizeiliche Maßnahmen zu erwarten habe.“

Deutlich wird durch die jeweiligen Verhör-Protokolle, auf welche Sachverhalte es den Ermittlern offenkundig in besonderer Weise ankam. Drei Schwerpunkte lassen sich feststellen:

1. Besonderheiten im Heim-Alltagsleben

Aussagen von Kindern/Jugendlichen aus dem Haus weisen auf gravierende Unterschiede zum Leben außerhalb des Heimes hin, die für sie in gewisser Weise ein Pendeln zwischen zwei Welten – der Welt im Marienthal und der in Schule und Ausbildung - erforderlich machen:

  • Heimbewohner bestätigen, dass eine Mitgliedschaft der Jungen in der Hitlerjugend – wie auch der Mädchen im BDM - vom Hausvater Habdank aufgrund ursprünglich gemachter negativer Erfahrungen ausdrücklich untersagt worden sei. Der Heimbewohner F.K äußert, dass „das Leben draußen fröhlicher“ sei und bezieht sich dabei möglicherweise darauf, dass in den entsprechenden NS-Gruppierungen sicher auch jugendliche Bedürfnisse nach Abenteuer und Gemeinschaft angesprochen wurden, denen im Haus aus seiner Sicht zu wenig Rechnung getragen werde.
  • Fragen des Nationalsozialismus würden im Alltag nicht thematisiert, es gäbe keine Vorträge bzw. Informationen mit politischem Inhalt.
  • Der übliche Gruß laute „Grüß Gott“; lediglich der Erziehungsgehilfe W. lasse vereinzelt mit „Heil Hitler“ grüßen.
  • Viel Wert werde vom Hausvater auf die religiöse Erziehung gelegt, die sich in der Pflicht zum Besuch des Sonntagsgottesdienst sowie der Einhaltung häufiger, über den Alltag verteilter Zeiten des gemeinsamen Gebets konkretisiere. Der Heimbewohner W.P. gibt an, dass der Hausvater Habdank einmal betont habe, das Vorbild für die Jungen dürfe „nicht Hitler“ sein, sondern „Jesus“.

2. Die Praxis der Züchtigungen im Heim

Mehrere Kinder/Jugendliche geben zu Protokoll, dass sie selbst von körperlichen Züchtigungen bei tatsächlichen – eingestandenen - und angeblichen Regelverletzungen betroffen gewesen seien bzw. von solchen bei anderen gehört hätten. Offiziell sei es Aufgabe des Hausvaters gewesen, diese Züchtigungen vorzunehmen. Bevorzugtes Disziplinierungssmittel seien Schläge mit einem Rohrstock (5 bis 10, maximal 15 Schläge mit einem 81 cm langen „spanischen Rohr“) auf das bekleidete Gesäß bzw. die Hände gewesen. Bei größeren Kindern seien Maßnahmen wie „Ausgangssperren und Filmverbote“ ergriffen worden.

Allerdings sei wiederholt auch der Erziehungsgehilfe W. negativ in Erscheinung getreten. W. selbst gibt in seinem Verhör an, dass ihm vom Hausvater ausdrücklich verboten worden sei, eigenmächtig Züchtigungen vorzunehmen. Er räumt aber auch ein, sich teilweise nicht an diese Direktive gehalten zu haben. So habe er „ab und zu Ohrfeigen verteilt“, mitunter auch „Zöglinge richtig verhauen“. Auch Schläge mit einem eigenen Rohrstock (50 cm langes spanisches Rohr) bestreitet er nicht. Ebenso wenig dementiert er, in Einzelfällen exzessiv gestraft zu haben, indem er etwa

  • Heimbewohner im Winter bereits um 4 Uhr zur „Gymnastik“ antreten gelassen habe bzw. „weil keine Ruhe im Schlafsaal eingetreten“ sei, dies auch am Abend um 21.30 h angeordnet habe
  • Jungen zwangsweise unter die kalte Dusche gestellt habe, wobei vor allem bei den „Wasserscheuen“ andere Heimbewohner diese Jungen hätten festhalten müssen. Derartige drakonische Strafen seien allerdings nach Bekanntwerden vom Hausvater verurteilt und die entsprechenden Aktivitäten ganz eingestellt worden.

Zu seiner Rechtfertigung führt W. an, dass „eine strenge Erziehung in diesem Heim unbedingt notwendig“ sei. Allerdings sieht er sich auch als heillos überfordert an. Speziell für die Arbeit mit Schulkindern sei er nicht ausgebildet gewesen. Nachdem ein zweiter Erzieher vor Monaten zum Kriegsdienst eingezogen worden sei, hätte allein bei ihm die Verantwortung für die Betreuung von bis zu 90 männlichen Kindern/Jugendlichen gelegen. Bei seinem Rund-um-die-Uhr-Dienst (die Nächte habe er in einem vom Schlafsaal der Jungs abgetrennten „Verschlag“ verbracht) sei er auch für hausmeisterliche Aufgaben wie die Instandhaltung von Heizung und Wasserleitung zuständig gewesen, Informationen über die Vorgeschichte der von ihm Betreuten seien ihm nicht gegeben worden.

3. „Sittliche Verfehlungen“ im Haus

Die Durchsicht der Verhörprotokolle macht deutlich, dass unter „sittlichen“ Verfehlungen speziell „sexuelle“ verstanden wurden. Von keiner Seite wird dabei Verantwortlichen übergriffiges Verhalten zur Last gelegt, es geht ausschließlich um Aktivitäten der männlichen Kinder/Jugendlichen. Überwiegend werden von Heimbewohnern Berichte über heimliche „Selbstbefleckung“ (bei der man sich nicht „erwischen“ lassen durfte bzw. die auch Grund für Denunziationen gewesen sei), gemeinsame Masturbation und sehr vereinzelt über Versuche weitergehender homosexueller Praktiken zu Protokoll gegeben. Lt. dem Erziehungshelfer W. sei es auch zu Meldungen „über Schweinereien“ aus dem Städtischen Krankenhaus gekommen, in dem einige Heimbewohner längere Zeit infolge einer Diphtherie-Epidemie stationär untergebracht waren, wobei hier vornehmlich eher exhibitionistische Aktivitäten angesprochen worden seien.

Häufig erklären Heimbewohner auch, keine Wahrnehmungen zu dem Themenkomplex zu haben, beziehungsweise – wie der Jugendliche F.K. - von der Thematik kaum betroffen zu sein: „Ich habe fast keinen Geschlechtstrieb und kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich mich in sittlicher Hinsicht weiter nicht verfehlt habe.“

Dass für einzelne Heimbewohner die Verhöre noch Jahre später von Bedeutung sind, wird u.a. aus der Gestapoakte von W.S. deutlich. Nachdem dieser sich im Jahre 1943 um eine Anstellung als Maler bei einem Fliegerhorst bewirbt, weiß die Politische Polizei Würzburg auf eine „Überprüfungsanfrage“ hin kaum etwas über ihn zu berichten, hält aber offenkundig für mitteilenswert, dass „S. angebl. im Alter von 13 Jahren wiederholt mit anderen Zöglingen onaniert“ habe. (Konsequenzen dieser Mitteilung sind nicht bekannt)

Mittwoch, 24. Januar 1940

Am dritten Tag der Gestapo-Aktion wird erstmals der Vorsitzende des Verwaltungsrates einbezogen. Sein Bericht vom 27.01. enthält sehr detailliert Angaben über Vorgeschichte, Verlauf, die Position des Verwaltungsrates zu den Vorwürfen und von den Vertretern der Politischen Polizei angedrohte Konsequenzen für die Einrichtung: „Am Mittwochnachmittag 1/2 2 Uhr wurde ich zur Vernehmung und Berichterstattung vorgeladen. Ich wurde über meine Stellung und Verpflichtung zur Anstalt als Vorsitzender des Verwaltungsrates verhört, wurde befragt, wie weit ich von Beschwerden über den Betrieb in der Anstalt Kenntnis erhalten hätte entweder durch Mitteilungen der auswärtigen Jugendämter oder von anderer Seite und wie weit ich von sittlichen Verfehlungen der Zöglinge etwas erfahren oder gewusst hätte.

Zur Frage der Beschwerden der Jugendämter bezw. der Kindereltern durch die Jugendämter (andere lagen nicht vor) erklärte ich: solche Beschwerden seien nur ganz vereinzelt eingelaufen. Sie wurden von mir dem Heimleiter übergeben, mit ihm besprochen und von ihm sachliche Darlegung des jeweiligen Falles verlangt und erstellt. Eine Gegenäusserung eines Jugendamtes oder eine weitere Verfolgung der jeweils aufgegriffenen Sache ist nie geschehen. So musste angenommen werden, dass der jeweilig Fall vom betreffenden Jugendamt als in Ordnung befindlich anerkannt war.

Zur Frage nach der Kenntnis sexueller Verfehlungen konnte ich mitteilen, dass im Verlauf der letzten Jahre der Heimleiter bezw. die Erziehungshelfer glaubten etwas beobachtet zu haben. Es wurde mir sofort gemeldet und mit meinem Wissen jedesmal Anzeige an die Polizei gemacht. Das Ergebnis der polizeilichen Untersuchung war im einen Fall in Verbindung mit dem jugendlichen Alter des in Frage kommenden Zöglings so gering, dass es vom Richter nicht weiter verfolgt wurde. In den andern Fällen konnte auch die Polizei nichts feststellen. Hinsichtlich, der Frage nach dem Züchtigungsverfahren in der Anstalt durch den Heimleiter erklärte ich, dass ich wusste, dass körperliche Züchtigung vom Heimleiter in der Anstalt geübt werde. Ich hätte mit ihm darüber gesprochen und er habe mir geantwortet, dass er gesetzlich dazu berechtigt sei, und dass er körperliche Züchtigung zur Erreichung des Erziehungszweckes unbedingt verwenden müsste, dabei aber selbstverständlich im Rahmen der gesetzlichen Zulässigkeit bleibe. Mich habe zu dieser Aussprache besonders veranlasst, dass auch körperliche Züchtigung grösserer Mädchen auf das Gesäss geschehe, was mir persönlich widerstrebte, auch wenn die Schläge über die Bekleidung, wie es immer der Fall war, erteilt wurden.

Nach dieser Einvernahme erklärte der untersuchende Beamte der Gestapo: "Herr Pfarrer, Sie werden erschüttert sein, wenn Sie nun auf Grund eingehender Untersuchungen der Kinder im Einzelnen und durch Gegenüberstellung erfahren, welche sittliche Verirrungen unter den Kindern seit Jahren bestanden haben und welche Überschreitungen des Züchtigungsrechtes vorliegen." Sodann legte er mir dar, dass seit einer Diphtherieepidemie 1936/37 im Heime sich unter den Buben eine sexuelle Verseuchung vollzogen habe. Die Buben waren damals teilweise monatelang im Stadt. Krankenhaus als Bazillenträger, sonst oft seit Wochen wieder ganz frisch und gesund, untergebracht. Die Beaufsichtigung der Jungen, die in Krankensälen für sich gewesen sind, fehlte. Und hier sei es nun über Selbstbefleckung hinaus zu homosexueller Verirrung gekommen. Nach Erlöschung der Epidemie im Heime habe sich nach den Ergebnissen der Untersuchung zunächst das Verhalten der Buben wieder gebessert, sei aber in den letzten Jahren doch wieder in das Laster zurückgefallen. Es wurden mir darin einige Untersuchungsberichte vorgelesen, nach deren Angaben homosexuelle Verfehlungen von Zöglingen aufgedeckt waren. Ich konnte dazu nur sagen, dass Verwalter Habdank einmal vom Krankenhaus gerufen worden sei, um vier kleinere Zöglinge zu strafen, die die Schwester bei einer unsittlichen Entblößung ertappt habe, und dass nach Rückkehr diese Jungen besonders scharf im Auge behalten worden seien.

Bezüglich der Überschreitung des Züchtigungsrechtes erfuhr ich, dass auch die Erziehungsgehilfen körperlich gestraft hätten, die dazu niemals befugt seien, dass sich vor allen Dingen der letzte Erziehungsgehilfe W. (sein Handeln war den Kindern natürlich am besten in Erinnerung) durch mancherlei Strafmethoden den Kindern gegenüber roh benommen habe. Auch der Heimleiter habe sein Züchtigungsrecht in manchen Fällen weit überschritten. Auch dafür wurden mir verschiedene Untersuchungsergebnisse vorgelesen, bei deren Wirklichkeit auch die in der Anstalt vereinte Zöglingsschar mit ihren schweren Belastungen nicht ganz zur Entschuldigung ausreichen dürfte. Als Vorsitzender des Verwaltungsrates musste ich aber feststellen, dass mir und keinem der Verwaltungsmitglieder weder von der einen noch von der anderen Sache als tatsächliche Vorkommnisse und Zustände etwas bekannt geworden sei.

Der Beamte der Gestapo erklärte, dass es auf Grund dieser zwei verschiedenartigen Missverhältnisse im Anstaltsbetriebe, von denen jede allein für sich schon es hinreichend begründen würde, beschlossene Sache sei, dass das Heim sofort geschlossen werden müßte, ein Heim hier niemehr geführt werden könnte und auch der Verein zu verschwinden habe. Es gäbe für uns zwei Wege, entweder uns selbst aufzulösen und dann stiftungs- und statutengemäß Heim und Vereinsbesitz an die Stadt als Erbin weiterzuleiten, oder die zwangsweise Schließung und Enteignung durch das Reich über uns ergehen zu lassen.

Auf Vorschlag des Mitarbeiters der Gestapo kommt es noch am gleichen Abend zu einer Versammlung des Verwaltungsrats im Marienthal. An dieser nimmt auch Dekan Fabri als Vertreter der Kirchengemeinde teil. Die Anwesenden werden durch Pfarrer Beyhl und den ebenfalls teilnehmenden Untersuchungsbeamten über die Vorgänge und Ergebnisse der Untersuchung unterrichtet. Vor allem aber erklärt der Untersuchungsbeamte, dass er bis zum kommenden Donnerstag, 11 Uhr, einen Beschluss über die Haltung des Verwaltungsrates in Händen halten müsse.

Pfarrer Beyhl schließt:
„Der Verwaltungsrat vertagte nach eingehender Besprechung, an welcher auch Herr Dekan Fabri, als Vertreter der Kirchengemeinde teilgenommen hatte, seine Verhandlungen auf Donnerstag, 25.1.40 morgens 9 Uhr mit der Vereinbarung, dass inzwischen Anfragen und Erklärungen auch an die kirchlichen Oberstellen ergehen sollten, was fernmündlich versucht und zum Teil gelungen ist.“

Wie erst später bekannt wird, erfolgt am gleichen Tag die Einsetzung eines „aus der Kirche ausgetretenen Gewerbeoberlehrers“ als Zwangsverwalter der Einrichtung.

Donnerstag, 25. Januar 1940

Der Donnerstag verläuft dramatisch. Zwei Verwaltungsratssitzungen werden an diesem Tage abgehalten. Vor allem in der zweiten kommt es zu teils heftigen Auseinandersetzungen.

Pfarrer Beyhl hält fest:
Am Donnerstag morgens 9 Uhr war der Verwaltungsrat im Sitzungszimmer des Dekanates zusammengekommen und Mitglied Justizrat Drescher, der am Abend, gefehlt hatte, nahm zur ganzen Lage Stellung. Auf Grund seiner Darlegungen und aus dem Bewusstsein heraus, dass der Verwaltungsrat auch einem weiteren Verfahren von Seiten des Reiches mit gutem Gewissen ins Auge sehen könne, kam ein Beschluss zustande, nach welchem einhellig die Selbstauflösung des Vereins abgelehnt wurde. Dieser wurde der Geheimen Staatspolizei noch am Vormittag überreicht. Am Nachmittag, etwa um 14.45 Uhr wurde ich von der Gestapo gerufen, Verwalter Habdank wünsche mich zu sprechen und habe dazu die Erlaubnis. Er war am Vormittag zu allen Fällen verhört worden und hat, wie ich später erfuhr, zugegeben, dass er körperlich öfter gezüchtigt habe, ohne dabei nach seiner Meinung das Züchtigungsrecht überschritten zu haben, den Erziehungsgehilfen aber habe er körperliche Züchtigungen immer wieder verboten und rohe Behandlung jederzeit energisch zurückgewiesen. Von den homosexuellen Verfehlungen habe er nichts gewusst.

Fälle von Selbstbefleckung seien ihm bekannt geworden und habe sie durch Strafe, mehr aber noch durch Besprechung mit den Buben zu beheben gesucht. Bei diesem Verhör scheint Heimleiter Habdank gesagt worden zu sein, dass er nun aus der Haft entlassen werden könnte, von der Gestapo aus, wenn wir Selbstauflösung beschlossen hätten. So aber müsste er 6 Wochen oder vielleicht auch länger festgehalten werden, bis die Sache der Beschlagnahme und die gewaltsame Auflösung des Vereins durch das Reich geschehen sei. Das bewog Heimleiter Habdank, mich rufen zu lassen. Beim Eintritt in die Zelle flehte er mich inständig an, ihn aus dieser Lage zu befreien und wenn es eben nicht anders geht, von meinem Recht als Vereinsführer Gebrauch zu machen und den Beschluss von heute morgen aufzuheben.

Kurze fernmündliche Besprechung mit Herrn Dekan Fabri hatte das Ergebnis, dass ich versuchte, eine Frist zu einer nochmaligen Besprechung mit dem Verwaltungsrat vor dem Abschluss des Verfahrens durch die Gestapo zu erreichen. Im gleichen Augenblick trat in das Büro der Gestapo die Kommission zur Beschlussfassung über das Heim ein, geführt von dem Vorsitzenden der Gestapo Würzburg Polizeidirektor Wickelmayer und begleitet vom Oberbürgermeister der Stadt Schweinfurt. Ich trug den Herren meine Bitte vor um eine nochmalige Frist, die vom Polizeidirektor dahin beantwortet wurde, dass dazu keine Veranlassung vorliege, nachdem ein gültiger Beschluss gefasst sei. Er las denselben durch, wiederholte noch einmal seine eben geäusserte Anschauung, liess sich aber dann doch die Satzung des Vereines reichen, ging damit in ein Nebenzimmer, in welches auch die anderen Herren z.T. sich begaben und etwa nach einer Dreiviertelstunde bis Stunde kam  Polizeidirektor W. wieder und sagte, er nehme an, dass der Verwaltungsrat in allen seinen G1iedern schliesslich doch nicht hinreichend genug über die Sachlage in Kenntnis gesetzt sei und er wäre bereit, Gelegenheit zu einer Sitzung im Laufe dieses Tages oder Abends noch eimal zu geben, bei der er selbst zugegen sein wolle. Ich erklärte ihm, dass für den Verwaltungsrat Darlegungen von der Leitung der Gestapo wichtiger sein müssten, als von einer nachgeordneten Stelle, wie es am Abend vorher geschen ist, besonders auch, das inzwischen vollzogene Verhör von Verwalter Habdank kennenzulernen uns wertvoll sei“.

Am Abend des gleichen Tages, ab 18 Uhr, kommt es im Zimmer 9 des Rathauses zur entscheidenden Sitzung. Von Seiten des Hauses nehmen teil: Pfarrer Beyhl als Vorsitzender des Verwaltungsrats sowie dessen weitere Mitglieder Pfarrer Kressel, Kanzleirat Zorn, Privatier Karl Rose, Justizrat Karl Drescher, Kaufmann Rosa, Architekt Gassmann, Kaufmann Herrmann und Kommerzienrat Wirsing. Auch Dekan Fabri als Vertreter der Kirchengemeinde ist anwesend. Außerdem von der Gestapo die Herren Polizeidirektor Wickelmeyer und – lt. dem Protokoll Pfarrer Beyhls - „ein weiterer uns dem Namen nach nicht bekannter Herr.“

Die Vorwürfe des Polizeidirektors Wickelmeyer gibt Pfarrer Beyhl so wieder:
Es sei lange Zeit hindurch eine Reihe schwerer unsittlicher Verfehlungen unter den Zöglingen vorgekommen und es herrsche in der Anstalt ein derartiger unsittlicher Zustand, dass eine Fortführung der Anstalt unter der bisherigen Leitung gar nicht mehr in Frage kommen könne, vielmehr die absolute Notwendigkeit einer zwangsweisen Auflösung für ihn gegeben sind....Er könne nur wiederholen, dass die unbedingte Notwendigkeit einer Auflösung des Vereins für ihn eine gegebene Sache sei, von der unter gar keinen Umständen abgegangen werden könne, es sei denn, dass der Verein sich freiwillig auflöse.

Ausdrücklich betont Wickelmeyer, dass an die Herren des Verwaltungsrats „keine speziellen Vorwürfe“ zu richten seien, es aber an der nötigen Aufsicht gefehlt habe.

Pfarrer Beyhl fasst die Sicht des Verwaltungsrates wie folgt zusammen:
Mit Rücksicht auf die dargestellte Sachlage kann der Verwaltungsrat Gründe zur Auflösung der Anstalt wegen der fraglichen Vorkommnisse niemals finden. Die Anstalt hat von Anfang an und jetzt Jahrzehnte lang bewiesen, dass sie aus vielfach verwahrlosten jungen Menschen ordentliche Menschen gemacht hat. Für Auswüchse von wenigen Einzelnen kann sie nicht verantwortlich gemacht werden. Die jetzt vorliegenden Angaben der Zöglinge, die den Herren der Verwaltung in kurzen Zügen mitgeteilt wurden, beweisen noch nicht, dass diese Angaben wirklich auf Wahrheit beruhen bzw. in diesem Umfang der Wirklichkeit entsprechen...

Besonders Justizrat Drescher tritt im Raume stehenden Angriffen auf den Verwaltungsausschuß entgegen und verweist u.a. darauf, dass dessen Mitglieder „von derartigen Vorkommnissen nie etwas erfahren“ hätten. Auch spricht er sich gegen eine freiwillige Auflösung aus, „weil mit einer solchen der Verwaltungsrat wenigstens nach aussen hin, mehr oder weniger das Zugeständnis seiner Mitschuld“ abgebe. Diese Einlassung veranlasst den Gestapovertreter zu einer „ungemein scharfen Erwiderung, die nach Auffassung der Mitglieder des Verwaltungsrates nicht berechtigt war.“

Wiederholte Bitten der Vertreter des Hauses, eine Verständigung der Verwaltungsratsmitglieder ohne Beteiligung der Gestapo-Mitarbeiter angehen zu können, werden von diesen kategorisch zurück gewiesen, Diskussion und Beschlussfassung müssen so unter den Augen der Gestapo stattfinden. Letztlich sehen die Mitglieder des Verwaltungsrates angesichts der Alternative einer Zwangsauflösung, bei der alles Vermögen an den Staat fließt, keine andere Möglichkeit, als einstimmig die eingangs zitierte „freiwillige“ Auflösungserklärung zu unterzeichnen.

Im Rückblick stellt der Vorsitzende des Aufsichtsrates fest:
"Die Not der Anstalt hängt zusammen mit der Not Rummelsbergs [von wo Hausvater und Erziehungshilfe „abgeordnet“ worden waren; d. Verf.] und der Kirche überhaupt, was den kirchlichen Nachwuchs betrifft; denn seit Jahren gestellte Bitten um Zuweisung eines  zweiten Erziehungsgehilfen konnten nicht erfüllt werden und auch die Qualität der zugeteilten Gehilfen entsprach nicht der Aufgabe. Der oben geschilderte Ausgang ist zuletzt nur der Abschluß des Weges, auf dem eine konfessionell gehaltene Einrichtung verschwinden mußte."
Beyhl, Pfr.

Die Leitung des Heimes wird am 27.1.1940 von der Stadt Schweinfurt übernommen. Als Liquidatoren werden Pfarrer Adam Beyhl, Kanzleirat Zorn und Kaufmann Otto Rosa eingesetzt. Der Hausvater Habdank wird kurz nach dem 25.01.1940 aus dem Gefängnis entlassen. Ungeachtet der gegen ihn von der Gestapo erhobenen Vorwürfe wird ihm angeblich eine Stelle bei der Kämmerei der Stadt angeboten. Statt diese anzunehmen, zieht er allerdings die Aufnahme einer anderen Tätigkeit in München zum 01.4.1940 vor.

Der Erziehungsgehilfe W. wird am 10.05.1940 vom Amtsgericht Schweinfurt wegen „Vergehens der gefährlichen Körperverletzung“ zu einer Geldstrafe von 55 RM - was einem Monatsgehalt von ihm entspricht - „oder 11 Tagen Gefängnis“ verurteilt. Weitere Anklagen/ und Verurteilungen hat es offenkundig nicht gegeben.

Ergänzung:

Reaktion der Bayerischen Landeskirche

Deutliche Kritik – am Marienthal

Die Vorgänge um das Haus Marienthal Ende Januar 1940, die zwangsweise Auflösung des Trägervereins und die Schließung der Einrichtung, sorgen innerhalb der maßgeblichen Leitungsorgane der Evangelischen Landeskirche in Bayern für Furore. Knapp zwei Wochen nach der Übernahme der Leitung durch die Stadt Schweinfurt teilt der Landesführer der Inneren Mission Bayern, Pfarrer Weichlein, dem Schweinfurter Pfarrer Beyhl am 9. Februar 1940 mit1:

Die Angelegenheit ist gestern Verhandlungsgegenstand im Landeskirchenamt gewesen. Befasst wurde mit der Sache der Herr Landesbischof persönlich [Hans Meiser, P.Ba.], der Herr Vizepräsident und  Oberkirchenamtmann Dr. Karg.

Ergänzend ist der Hinweis angefügt: „Die angesprochenen Auffassungen werden voll und ganz auch vom 1. und 2. Vorsitzenden des Verbandes Bayer. Evang. Erziehungsanstalten geteilt.“

Die „angesprochenen Auffassungen“ enthalten deutliche Kritik am Vorgehen der Verantwortlichen in Schweinfurt.

Diese bezieht sich zunächst auf die Art der Informationübermittlung. Es wird festgestellt, „dass der Landeskirchenrat zunächst nur telefonisch unterrichtet wurde“. Obwohl „der Herr Landesführer durch Rundschreiben vom 16. Mai 1939 an alle Dekanate die Vorlage aller Berichte über die Geschäftsstelle angeordnet hat. Ein Bericht an den Landeskirchenrat kann nicht als Ersatz angesehen werden.“

Gravierender ist, dass die Rechtmäßigkeit des Handelns des Verwaltungsrates allgemein und seines Vorsitzenden, Pfarrer Beyhls im Besonderen bestritten wird: „Auch der Herr Landesführer hat eine Genehmigung zur Auflösung nicht erteilt. Nun ist aber der Verein Evang. Erziehungsantalt Marienthal E.V. durch eine ordnungsgemäß unterzeichnete Erklärung vom August 1934 dem Herrn Landesführer unterstellt.“
...
Auf alle Fälle hätte in Schweinfurt nach der Kirchlichen Ordnung vom 28.6.1934 II verfahren werden müssen. Das Ansuchen nach Auflösung wäre abzulehnen gewesen unter Hinweis darauf, dass der Verein nicht selbständig handeln kann und ein derartiger Beschluss von der Zustimmung des Herrn Landesführers abhängig ist. Zudem gewinnt man aus dem Bericht vom 27.I. den Eindruck, dass hinreichende Gründe für eine von der Staatspolizei beabsichtigte Schließung der Anstalt nicht vorhanden sind, nachdem das Erzieherpersonal für die Verfehlungen in sittlicher Hinsicht, die sich ausserhalb der Anstalt abspielten, nicht verantwortlich gemacht werden konnte und eine Überschreitung des Züchtigungsrechtes im schlimmsten Fall an dem Täter, nicht aber durch eine derartig einschneidende Maßnahme an der Anstalt geahndet werden kann.

Durch den Hinweis auf die Genehmigung des Landesführers oder auch durch die Herbeiführung einer Entscheidung über Berlin wäre Zeit gewonnen. Diese Entscheidung wäre vermutlich anders als angekündigt ausgefallen, ganz abgesehen davon, dass der Reichserziehungsverband, der unter der ausgezeichneten Leitung von Pastor Fritz steht, hier massgeblich sich hätte einschalten können.“

Inwiefern Pastor Alfred Fritz, dessen „ausgezeichnete Leitung“ des Reichserziehungsverbandes hier gewürdigt wird, sich im Sinne der Einrichtung verwendet hätte, ist spekulativ. Es liegen nur wenige Informationen über die Person des Leiters des Reichserziehungsverbandes vor. Überliefert ist lediglich seine 1941 rückblickend erfolgte Einschätzung, wonach die evangelischen Anstalten „bereits vor der Machtübernahme Horte  nationalsozialistischer Arbeit und nationalsozialistischen Ideenguts“2 gewesen seien.

Bereits Jahre zuvor -1937- hatte Fritz für Unruhen in kirchlichen Einrichtungen „die intensive Agitation kommunistischer Zersetzungsarbeit und der jüdischen Presse“ 2 verantwortlich gemacht.3
Auch die Rücksichtnahme Pfarrer Beyhls auf die besondere Notlage des Hausvaters Habdank, dem nach seiner Gefangennahme eine lange Haftzeit drohte, wird von den Kirchenoberen –deren „eigene Ehre“ nach späteren Erkenntnissen nicht durchweg außer Zweifel stand- nicht goutiert: „Das persönliche Anliegen des Hausvaters darf in diesen sachlichen Auseinandersetzungen keine Rolle spielen. Schließlich hätte es dem Hausvater auch nicht in erster Linie um die Befreiung aus einer unangenehmen Situation sondern um seine eigene Ehre, die hier auf dem Spiel stand, gehen müssen.“

Abschließend wird wenig hoffnungsfroh festgestellt: „Es ist für die beteiligten Stellen nachträglich sehr schwer, eine Änderung des von dem Verein geschaffenen Zustandes herbeizuführen.“

Wenige Tage nach dem zitierten Gespräch im Landeskirchenamt, am 13. Februar 1940, kommt es zu einer „Besprechung über die Auflösung der Evang. Erziehungsanstalt Marienthal in Schweinfurt“. 3 Teilnehmer in Nürnberg sind Pfarrer Beyhl, Konrektor Naegelsbach - Rummelsberg und Pfarrer Weichlein.

Dabei werden unterschiedliche Verständnisse der Unterstellungserklärung unter den Landesführer auf Seiten Pfarrer Beyhls und dem Vertreter der Inneren Mission deutlich.

„Im Verlauf der Unterredung stellt sich dann heraus, dass die Unterstellungserklärung nur vom Vorstand persönlich und vom Verwalter ohne Befragen des Ausschusses unterzeichnet worden ist. Damit ist jede Möglichkeit genommen, mit der Tatsache der Unterstellung unter den Herrn Landesführer für Innere Mission noch zu operieren.“

Pfarrer Beyhl versucht, sein und des Hausvaters Handeln zu erklären. Bezüglich der von der GESTAPO erhobenen Vorwürfe wird lt. Protokoll der Besprechung von ihm festgestellt, dass Diakon Habdank auf dem Standpunkt gestanden sei, dass er zur Züchtigung berechtigt sei“.

Weiter wird festgehalten:
„. Die Untersuchungen der Staatspolizei haben jedoch folgende Beanstandungen ergeben:

  1. Der zu den Züchtigungen benützte Stock war 81 cm lang. Er hat also das erlaubte Mass um 21 cm überschritten.
  2. Die Zahl der Schläge war verschieden. Von den Zöglingen wurden 13, 14, 20 angegeben, während nur 6 erlaubt sind.
  3. Mädchen dürfen überhaupt nicht so geschlagen werden, wie es der Hausvater tat.

In sittlicher Hinsicht wurde nur die mangelnde Beaufsichtigung beanstandet. Außerdem wurde noch erwähnt, dass verwaiste und verwahrloste Kinder nicht hätten zusammengenommen werden dürfen.“

Kein Thema der Besprechung sind offenkundig die Bedingungen, unter denen die Arbeit in der Einrichtung stattfand, insbesondere fehlt jeglicher Hinweis auf die Tatsache, dass in diesem
Kriegswinter an die 90 „Zöglinge“ von einem engagierten Hauselternpaar und einem heillos überforderten „Erziehungsgehilfen“ zu betreuen waren.

Dem Hinweis, der Vorstand des Marienthals hätte versuchen müssen, „Zeit zu gewinnen“, begegnet Pfarrer Beyhl mit der Erklärung, „dass dem Vorstand nur auszugsweise von den Ermittlungen, die 150 Aktenseiten umfassten, Kenntnis gegeben worden sei und dass es für ein dilatorisches Verfahren weder eine Möglichkeit bestanden hätte, noch eine Gelegenheit gelassen wurde, und zwar einmal, weil die Unterstellung unter den Landesführer nicht in rechtlich einwandfreier Form erfolgt war und zum anderen, weil die Staatspolizei die Dinge in persönlicher Anwesenheit des Direktors der Würzburger Stelle mit grösster Beschleunigung weitertrieb.“
Die Kritik an der Haltung des Hausvaters lässt Beyhl „nur teilweise gelten, indem er einerseits auf die innere Verfassung desselben und andererseits immer wieder auf die seelsorgerliche Seite der
Angelegenheit starkes Gewicht legt“.

Abschließendes Fazit der Besprechung:
„Wir mussten die Besprechung unter dem Eindruck schließen, dass die Anstalt für die Innere Mission nicht mehr wird zurück gewonnen werden können.“
(Unterschrift Pfarrer Weichlein).

Das Ende der Einrichtung scheint besiegelt.

Das Gebäude am Oberen Marienbach 7 beherbergt in den folgenden Monaten eine andere Institution: Die GESTAPO. Von 1940 bis mindestens zum 14. Oktober 1941 residiert hier die GESTAPO-Außenstelle Schweinfurt.5

Quellen: die Quellen entnehmen Sie bitte dem folgenden PDF: PDF zu den Vorfällen 1940

1852 - Gründung und Anfänge von Haus Marienthal

Waisenhaus - protestantische Waisenhausschule - Rettungshaus - Erziehungsanstalt 1852 - Gründung...

Waisenhaus - protestantische Waisenhausschule -...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

1853 - Neubau am Marienbach

Neubau am Marienbach 1853 - Neubau - Einweihung - Heimschule Autor: Bert Ackermann Nach der...

Neubau am Marienbach 1853 - Neubau - Einweihung...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

1884 - ein "Revoluzzer" als Retter

"Revoluzzer" von 1884 wird zum Retter des Hauses Autor: Bert Ackermann Eine große unerwartete...

"Revoluzzer" von 1884 wird zum Retter des Hauses...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

1892 - von der Heimschule zur Stiftungsschule

Heimschule wird zur protestantisch konfessionellen Stiftungsschule Autor: Bert Ackermann Auch die...

Heimschule wird zur protestantisch...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

1912 - Historisches Buch

1912 - Historisches Buch Angelegt von Peter Kuhn Vom 24. bis 27. Juni 1912 fand in Dresden der...

1912 - Historisches Buch Angelegt von Peter Kuhn...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

1940 - Januar: dem Ende sehr nahe

Januar 1940 - Daten zur Schließung der Einrichtung Zu keinem anderen Zeitpunkt in seiner...

Januar 1940 - Daten zur Schließung der...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

Exkurs: Hans Habdank

Hausvater in schweren Zeiten (1931-1940) Exkurs: Hans Habdank Lesen Sie hier einen Auszug aus dem...

Hausvater in schweren Zeiten (1931-1940) Exkurs: Hans...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

1940 - Auflösung des Vereins und des Heims

1940 - Unterlagen zur Auflösung des Vereins und des Heimes 1940 wird durch politischen Druck der...

1940 - Unterlagen zur Auflösung des Vereins und...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

Die politischen Machtverhältnisse auch in Schweinfurt sind scheinbar auf unabsehbare Zeit geklärt, für eine Einrichtung wie das Marienthal sehen sie keinen Raum vor.
1950 - Wiedereröffnung

Der Weg zur Wiedereröffnung 1950 Im Januar 1940 scheint das Ende des Marienthals besiegelt. Das...

Der Weg zur Wiedereröffnung 1950 Im Januar 1940...

MOD_ARTICLES_TIMELINE_4X_READ_MORE_TITLE

MOD_ARTICLES_TIMELINE_3X_READ_MORE_TITLE

Kontakt

Haus Marienthal gGmbH
Evangelische Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Schweinfurt
Am Oberen Marienbach 7
97421 Schweinfurt

Telefon: 09721 / 7284-0
Telefax: 09721 / 7284-35
Mail: info@haus-marienthal.com

Sorry, this website uses features that your browser doesn’t support. Upgrade to a newer version of Firefox, Chrome, Safari, or Edge and you’ll be all set.